Redaktionsgeheimnis vs. DatenschutzÖsterreichs gefährliches Spiel mit der Pressefreiheit

In Österreich zielt die Kanzlerpartei ÖVP mit dem Datenschutz auf das Redaktionsgeheimnis. Sie will eine höchstgerichtlich angeordnete Reform nutzen, um unliebsame Berichterstattung von den Titelseiten zu bekommen. Investigative Medien laufen Sturm.

Österreichs Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) will weniger brisante Infos aus privaten Chats in der Öffentlichkeit sehen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photonews.at

Wenn es nach der ÖVP geht, werden sich Journalist:innen in Österreich künftig entscheiden müssen: Entweder zitieren sie nicht mehr wörtlich aus Ermittlungsakten – oder sie müssen damit rechnen, alle Daten zu einer Investigativrecherche herausrücken zu müssen, wenn eine betroffene Person danach fragt. Auf diese zwei Alternativen laufen die Lösungsvorschläge der rechtskonservativen Kanzlerpartei für ein neues Datenschutzgesetz hinaus. Es handle sich um eine „existenzielle Bedrohung der Pressefreiheit im Wahljahr“, warnt der Presseclub Concordia, eine in Österreich prominente medienpolitische Interessenvertretung.

Dass das österreichische Datenschutzrecht überarbeitet werden muss, ist seit Ende 2022 klar. Damals hob das Verfassungsgericht das sogenannte „Medienprivileg“ auf: Journalismus ist ohne Nutzung personenbezogener Daten kaum möglich, deshalb gelten für Medien besondere Regeln. Im österreichischen Datenschutzgesetz gehen die Ausnahmen besonders weit, Medienunternehmen sind bislang kategorisch von Verpflichtungen wie der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ausgenommen. Die pauschale Ausnahme ist jedoch verfassungswidrig und widerspricht dem Grundrecht auf Datenschutz, urteilte der Verfassungsgerichtshof und verlangte Nachbesserungen.

Die werden nun fällig. Als Frist hatte das Gericht Ende Juni 2024 gesetzt, bis dahin muss alles unter Dach und Fach sein. Für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren wird es zunehmend knapp, schließlich muss ein Gesetzentwurf nicht nur von der Regierung, sondern auch vom Nationalrat abgesegnet werden. Um das vollständige parlamentarische Prozedere durchlaufen zu können, müsste das federführende Justizministerium von Grünen-Politikerin Alma Zadić bis Mitte April einen fertigen Referentenentwurf vorlegen, rechnet die Tageszeitung Der Standard vor.

Zitate aus Chats brachten Skandale ins Rollen

Die Überarbeitung ist ein heikles Unterfangen, sollte in einer Demokratie aber eigentlich durchaus machbar sein. Letztlich müssen Grundrechte abgewogen werden: auf der einen Seite das Recht auf Privatsphäre der Personen, über die berichtet wird, auf der anderen Seite das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie auf Informations- und Pressefreiheit. Dies in Einklang zu bringen ist ausdrücklicher Auftrag der DSGVO an die EU-Länder. In Deutschland ist das Medienprivileg etwa im Medienstaatsvertrag festgeschrieben. Grundsätzlich sieht es ein Auskunftsrecht für Betroffene vor. Es lässt sich aber verweigern, sollte dies journalistische Arbeit gefährden, beispielsweise wenn „aus den Daten auf Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung mitgewirkt haben, geschlossen werden kann.“

Dass die Reform in Österreich bislang nicht vorankommt, soll an einer Blockade der ÖVP liegen. Medienberichten zufolge beharrte die Regierungspartei auf einer Verknüpfung mit einem wörtlichen Zitierverbot aus strafrechtlichen Ermittlungsakten. Dafür setzt sich unter anderem Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) seit langem ein. Ihr zufolge sei sonst das „Recht auf Privatsphäre scheinbar gänzlich außer Kraft gesetzt“, schrieb sie vor einem Jahr auf X. „Beschuldigte müssen damit leben, dass sämtliche SMS-Verläufe für ein Millionenpublikum aufbereitet oder in Theateraufführungen vorgetragen werden. Das ist nicht in Ordnung“, so die ÖVP-Politikerin.

Damit spielt Edtstadler auf die zahlreichen Skandale an, die Österreich seit Jahren erschüttern. Nach der sogenannten Ibiza-Affäre, die im Jahr 2019 die damalige schwarz-blaue Koalition zu Fall brachte, jagt eine Enthüllung die nächste. Oft genug stammen brisante Informationen aus privaten Chat-Nachrichten, die bei Ermittlungen sichergestellt wurden und später an die Öffentlichkeit gelangten – und etwa indirekt zu einer (noch nicht rechtskräftigen) Verurteilung des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz wegen Falschaussage führten. Zuletzt legten erneut Chat-Protokolle offen, wie die FPÖ den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umbauen und umfärben wollte.

„Ohne Informantenschutz keine Informanten“

Genau diese Form der Berichterstattung wäre künftig nicht mehr möglich, fürchtet die österreichische Medienlandschaft. Sie habe schon „höchst sensible Daten und Akten aussortiert“ und zur Vernichtung vorbereitet, schrieb etwa die Profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer unlängst auf X. Sollte so ein Gesetz kommen, werde niemand „mehr mit uns arbeiten wollen“, warnte die Investigativjournalistin in Sorge um ihre Quellen. Auch der Falter-Chefredakteur Florian Klenk schrieb: „Ohne Informantenschutz keine Informanten.“

Die geballte Ablehnung scheint Wirkung gezeigt zu haben. Gestern Abend erteilte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker der Verknüpfung eine Absage, offenbar, um die unmittelbar bevorstehende Datenschutzreform nicht zu gefährden. Ausgestanden ist die Sache aber wohl noch nicht, denn die ÖVP besteht weiterhin auf einem Zitierverbot. Ob und in welcher Form es kommt, bleibt vorerst offen.

Aber als Vorbild für eine Regelung könnte ausgerechnet Deutschland dienen. Hierzulande verbietet eine ausnahmslose Strafnorm das Zitieren aus Gerichtsakten – und genau die könnte bald ins Wanken geraten. In einem von Arne Semsrott angestrengten strategischen Verfahren will der Chefredakteur der Transparenzplattform FragDenStaat juristisch klären lassen, ob seine Veröffentlichung von Gerichtsakten tatsächlich illegal war – oder ob das deutsche Recht unvereinbar mit EU-Recht ist. In letztere Richtung weisen mehrere Urteile, etwa des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) oder auch des Bundesgerichtshofs (BGH).

Just zu dem Zeitpunkt also, zu dem ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis die Abschaffung des deutschen Zitierverbots fordert, droht Österreich in die Gegenrichtung zu rudern. Um mit einer SMS des desavouierten Ex-FPÖ-Chefs Hans-Christian Strache zu sprechen: „Wohin kann ich eine Intervention schicken?“

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3 Ergänzungen

  1. Der Artikel suggeriert, dass Zitierverbot und Quellenschutz miteinander in Verbindung stehen. Wenn nicht aus zitiert werden darf inwiefern gefährdet das Informantinnen und Informanten?

    1. Wie im ersten Absatz skizziert, sieht das Gesetz scheinbar eine umfassende Offenlegungspflicht vor: so könnte das Subjekt einer Recherche nur über das zitieren aus den jeweiligen Gerichtsakten verlangen, dass alle Unterlagen zu der Recherche (z.B. Namen von Informanten) ihm zur Verfügung gestellt werden müssten.

    2. Naja, das „Zitierverbot“ bedeutet, dass bei einem zu wörtlichen Zitat die Gefahr besteht, dass alle investigativen Akten bzw. Ergebnisse beschlagnahmt werden, was wiederum die Quellen gefährden kann. Also nicht nur „nicht mehr Berichtsfähig“, sondern Quellen konkret in Gefahr – man Frage mich nicht nach den Prozenten…

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